Praxis

für seelische Gesundheit

Demut

Wir brauchen Demut, um die Wunder des Lebens zu erkennen

Nach hundert Jahren Dunkelheit

schenkst du mir einen Tag wie diesen

und du schenkst mir eine ganze Welt,

ein ganzes Leben.

Demut lässt mich in Momenten, in denen ich mit dem Leben verbunden bin, auch wenn sie noch so klein sind, das Wunder in allem sehen. Sie hat mir geholfen, als ich mich für das Leben entschieden habe, die Zeit zu überstehen, in der ich noch sehr weit vom Leben entfernt war. Denn ich konnte eine Idee davon bekommen, wohin ich will, ohne dass ich daran zerbrochen bin, wo ich momentan bin.

So konnte ich gleichzeitig die Beziehungslosigkeit meiner alten Struktur in mir tragen und doch zu einem Leben mit Beziehungen hin wollen, ohne mich selbst dafür zu verachten, dass ich noch keine Beziehungen führen kann. Die Kräfte meiner Vergangenheit und Krankheit spüren, ohne das Leben dafür zu verurteilen, sondern ihm vielmehr dafür zu danken, dass ich überhaupt atme.

So konnte ich spüren, dass das Leben zu mir spricht, dass es nichts Böses oder Schlechtes will. Sondern dass ich es brauche und es mich. Ich bin kleiner als der Plan, den das Leben mit mir vorhat, aber ich bin groß genug, dass das Leben auf mich angewiesen ist. In mir kann das Leben wachsen, sich entfalten, wenn ich es zulasse.

Und es ist sehr geduldig, ebenfalls demütig würde ich sagen. Denn es lässt mir die Freiheit, dass ich mich selbst für das Leben entscheiden kann. Es will gesehen werden, mit all seinen Schattenseiten. Und so hat es sich mir gezeigt, damit ich lerne, wirklich zu leben.

Durch die Demut, und ich kann sagen allein durch die Demut, bin ich in meiner Sucht trocken geblieben. Die Kräfte waren enorm. Die Schmerzen waren enorm. Und ich habe von Stunde zu Stunde gelebt. Manchmal mehrmals von Minute zu Minute gebetet, dass ich es schaffe, in Gottes Willen zu handeln und damit trocken zu bleiben. Ich habe mich unterworfen in dem Wissen, es nicht allein schaffen zu können. Viel zu klein für die Kräfte zu sein. Ich hatte hingenommen, auch sterben zu können, an den Schmerzen. Nur um zu leben, statt zu überleben. Lieber lebendig sterben als innerlich tod überleben.

Durch die Demut weiß ich auch, dass meine dunkelsten Momente gut waren, für etwas gut waren.

Gott zeigt uns etwas über das Leben, etwas das schützenswert ist. Er gibt uns dadurch eine Aufgabe, eine Bestimmung, diesen Wert des Lebens zu schützen, ihn zu entfalten.

Die dunkelsten Momente meines Lebens fangen als Frühchen an. Abgeschnitten vom Leben, zum „Beobachter“ oder besser, zum „Lauscher“ verdammt. Alle Instinkte schreien, warnen mich vor dem drohenden Tod. „Du musst die Annahme eines Menschen finden, sonst bist du des Todes!“, sind seine Schreie. Aber alle Bemühungen, die nach außen gerichtet sind, scheitern. Da ist Licht, da sind Geräusche, Stimmen. Manches kenne ich, erkenne ich. Aber der Raum in mir wird nicht gefüllt, er bleibt bedrohlich leer. Es fehlen Antworten.

Das Leben ist in den ganz, ganz leisen Tönen, als müsste es sich verbergen, aber es will gefunden werden. Es zu spüren ist sehr anziehend, so als würde es mich rufen. Es wahr zu nehmen, steigert mein Begehren, es erreichen zu wollen und zu umarmen. Die Suche nach Geborgenheit und Schutz und ein Ort der Ruhe und des Friedens, an dem ich vertrauen kann und meine Hoffnung, meine Liebe zum Leben wächst.

All dies ist in mir, ich habe es erfahren. Ich gebe ganz freimütig davon, ja selbstverständlich, weil ich weiß, dass es jedes Leben braucht.

Das Leben verbirgt sich im Fluss der Zeit und in der Veränderung. Es fließt, es geht immer weiter. Ich möchte daran teilhaben, ein Stück des Lebens sein, das Leben in mir tragen und vom Leben getragen werden. Dafür muss ich nur offen sein, vertrauen auf das, was passiert und mich dem Leben hingeben.

Alles Bemühen als Frühchen nützte nichts, ich musste warten, bis das Leben auf mich zukommt. Jede Veränderung zählt, wie ein Ausweg aus der Dunkelheit, nur atmen! Aus jeder Veränderung lerne ich, wo es mich hinführt, an einen neuen Ort und zu neuen Möglichkeiten. Hinhören, spüren, nichts verpassen, vom Leben lernen, es zu leben.

Zu den dunkelsten Momenten meines Lebens gehörte, als mein Opa sich jahrelang an mir verging. Mich zum Objekt seiner Krankheit machte, mir den Wert eines Stuhls gab, indem er mich abrichtete, gleich einem Hund, mir Würde und Unschuld nahm, meinen Willen zerbrach, meine Kindheit beendete und sich an all meinem Schmerz und meiner Angst ergötzte.

Darin zu erkennen, wofür es gut war, ist wahrlich eine große Prüfung. Aber erst hier, lässt sich die Größe von Gott und dem Leben erkennen. Statt als ein gebrochener Mensch, mich vor den Menschen, dem Leben und der Wahrheit zu verstecken, stelle ich mich dem Leben und lebe es. Es wurde mir ein zweites Mal geschenkt, was sonst nie vorkommt.

Aber mein Schicksal zeigt mir, bevor man ein neues Leben leben kann, muss das alte erst beendet werden. Aber es ist nicht der Tod, der diesen Neuanfang ermöglicht. Es ist die Freiheit, mich zu entscheiden, wofür ich Leben will! Ich lebe für die hellsten Momente meines Lebens, egal wie kurz sie sind. Erlebe, wie es sich anfühlt, wenn Gott mich auf seinen Händen trägt. Erlebe, vom Leben geliebt zu werden, nur weil es mich gibt. Erlebe, dass ich wichtig bin und tatsächlich etwas bewirken kann. Erlebe, dass das Leben mich braucht und mir für meine Geschenke sogar Danke sagen kann. „Gibt nie auf, dein Leben zu lieben!“, dies ist die Botschaft meiner dunkelsten Momente. Und weil ich nie aufgegeben habe, es zu lieben, zeigt sich mir das Leben jetzt von seiner hellsten Seite. Es schenkt mir Beziehungen, Verbundenheit, Familie und sehr gute Freunde. Es schenkt mir Freiheit und Erfüllung. Es schenkt mir ein neues Leben!

Und Demut hilft mir, durch diese Momente noch einmal zu gehen. Noch einmal, zweimal, hundertmal in die Hölle und wieder zurück. Denn sie lässt mich erkennen, dass ich dieses Mal nicht alleine bin. Ich habe wunderbare Menschen um mich herum. Es geht mir gut, ich stehe ganz woanders als damals. Und erkenne durch die Demut, dass es wert ist, noch einmal in die Hölle zu gehen, auch wenn ich vielleicht nicht mehr wieder komme, nur um in diesen dunkelsten Momenten von damals, diese eine Mal nicht allein zu sein. Denn in den dunkelsten Momenten konnte ich nicht leben. Ich habe Gefühle abgespalten, ja sogar ganze Anteile meiner Persönlichkeit. Und durch die Demut erkenne ich, dass ich dem Leben schulde, dafür das ich überlebt habe, nun zu leben. Also auch diese Gefühle, die wie aufgespart sind für bessere Zeiten, in denen ich damit umgehen kann.

Und ich bin davon überzeugt, dass ich immer ein wenig ungünstiges Verhalten brauchen werde, um demütig zu bleiben, um daran erinnert zu werden, wie klein ich bin. Deswegen kann ich nicht danach streben, perfekt zu werden: Ich werde es nie sein. Denn das Leben ist es auch nicht. Und dafür liebe ich es.